Bericht: 11. Round Table Informationskompetenz „Microlearning“ am 09.12.2025 in Ilmenau

Der diesjährige Roundtable Informationskompetenz fand am Dienstag, den 9. Dezember 2025, in der Universitätsbibliothek Ilmenau statt. Thematischer Schwerpunkt war Microlearning – ein Bereich, der im Kontext der Informationskompetenzvermittlung noch wenig beforscht ist, aber Potenziale birgt.

Informationskompetenz in Thüringen

Milena Pfafferoth begrüßte alle Teilnehmenden und stellte die IK-Aktivitäten und -Netzwerke in Thüringen vor. Als Teil des Kooperationsverbunds Thüringer Hochschulen ist die BSC-AG Informationskompetenz (IK) ein Netzwerk für den persönlichen Erfahrungsaustausch aller Thüringer Hochschulbibliotheken, der Forschungsbibliothek Gotha und der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar zur „Informationsvermittlung“. Die starke regionale Vernetzung umfasst auch gemeinsame Arbeit an Standards und Richtlinien und zeigt, welche starke Synergien durch IK-Vernetzung entstehen können.

Microlearning – Definition, Hintergründe, Formate (Christina Schmitz, Timo Steyer)

Der Einführungsvortrag von Christina Schmitz (Staatsbibliothek zu Berlin) und Timo Steyer (Universitätsbibliothek Braunschweig) bot erste begriffliche Annäherungsversuche. Der Begriff ist schillernd, und was unter Microlearning fällt, ist nicht abschließend definiert. Man denkt beim Gebrauch des Wortes zunächst an didaktische Kurzformate wie Lernkarten, Wissenshäppchen, Coffee Lectures, Schulungseinheiten in Lern-Apps, digitale Schnitzeljagden oder QR-Codes, die auf Kurzinformationen verweisen. Insbesondere sind damit aber Formen der Kommunikation in den sozialen Medien gemeint, in denen grafisch attraktiv aufbereiteter Content in wenigen Sätzen übermittelt wird.

Diese Lernformate entsprechen den geänderten Lernbedarfen der Studierenden: Klassische Vor-Ort-Workshops werden zunehmend weniger nachgefragt, während „Just-in-Time“-Inhalte stärker im Fokus stehen. Die Studierenden fordern mehr als zuvor Informationen zu orts- und zeitabhängig auftretenden Problemen. Daten der JIM-Studie 2025 zur Mediennutzung von Schüler:innen zeigen, dass „Just-in-Time“-Formate ihnen längst vertraut sind und zu ihren Informationsgewohnheiten passen. Microlearning wird in Zukunft diese Bedarfe bedienen und bestehende Langformate ergänzen können. Typische Einsatzgebiete wurden von allen Teilnehmenden – auch den kritisch Nachfragenden – in der Vor- und Nachbereitung von Lernereignissen sowie im Training außerhalb eines eigentlichen Lernkontextes gesehen.

Ein Grundgedanke des Microlearnings ist, Lernformate stärker an die Umgebungen anzupassen, in denen sich Lernende ohnehin aufhalten. Gleichzeitig verändert sich die Vermittlungslogik: weg vom Push-Prinzip, hin zu Pull-Angeboten, die bei Bedarf selbst abgerufen werden. Gamification, der Einsatz von Podcasts oder Lernvideos lassen sich in diese Logik bestens einbetten, weil sie Inhalte spielerisch vermitteln und mit dem eigenen Endgerät von überall abgerufen werden können. Ohnehin spielt die Devise „Bring Your Own Device“ eine gewichtige Rolle im Microlearning – verbunden mit der wachsenden Bedeutung der Individualisierung und Personalisierung von Lerninhalten. Microlearning zahlt damit auf den Trend des selbstgesteuerten Lernens ein. Besonders beliebt sind visuelle, einfach strukturierte Formate, oft kombiniert mit Belohnungssystemen oder Empfehlungslogiken („Nutzer:innen, die diesen Content interessant fanden auch diesen Content interessant“).

Herausforderungen

Trotz der vielen Potenziale wurden auch die Schwierigkeiten sichtbar:

  • Lerneinheiten müssen in sich abgeschlossen sein und gleichzeitig in der Summe eine inhaltliche Klammer bilden – eine anspruchsvolle konzeptionelle Aufgabe.
  • Interaktive Elemente erhöhen zwar die Attraktivität, sind aber kosten- und entwicklungsintensiv, wenn sie durch Eigenentwicklungen integriert werden sollen.
  • Wird auf kommerzielle Plattformen zurückgegriffen, entsteht eine Abhängigkeit von Konzernen, die auf verschiedenen Ebenen problematisch werden kann – wie das Beispiel von X (ehem. Twitter) zeigt.
  • Offen bleibt, welche Lernziele mit granularen Formaten erreicht werden können und an welchen Stellen die didaktische Langstrecke unverzichtbar ist.

Diskussion

In der anschließenden Diskussion wurde u. a. die Frage aufgeworfen, welche Rolle Microlearning in Feldern wie Demokratiebildung, Gemeinschaft oder gesellschaftlichem Zusammenhalt spielen kann. Bibliotheken haben hier einen politischen und sozialen Auftrag – ob und wie Microlearning diesen unterstützen kann, blieb offen.
Reflektiert werden sollte, welche Lernziele sich überhaupt mit Microlearning erreichen lassen – und welche nicht. Während die Methoden des Microlearning zur reinen Informationsvermittlung sicher gute Ansätze bieten, ist der Erwerb von Kompetenzen und das Erlernen einer Praxis zeitintensiv und auf Wiederholungen angewiesen.

Jana Dreston (Universität Duisburg-Essen): Informeller Wissenserwerb über soziale Medien

Der zweite Vortrag von Jana Dreston lieferte hierzu zentrale Hinweise. Mit Verweis auf ihre eigenen lernpsychologischen Untersuchungen spannte sie einen theoretischen Rahmen auf, in dem sie Antworten auf die Frage formulierte, welche Bedingungen zum Erzielen eines Lernerfolgs erfüllt sein müssen. Ihr Fokus lag dabei auf Microlearning und informellem Lernen über soziale Medien.
Ein zentrales Ergebnis ihrer Untersuchungen: Klassische Vermittlungsformate sind nicht automatisch überlegen. Im Gegenteil – unter bestimmten Bedingungen erinnern sich Menschen besser an Inhalte, die sie z. B. auf Instagram konsumieren. Entscheidend ist nicht das Medium, sondern ob

  • man die Inhalte auch nutzt (Inhalte „elaboriert“),
  • man Inhalte aktiv (also „intentional“) aufsucht,
  • Inhalte als bedeutsam („relevant“) empfunden werden.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann Lernen auch im Mikroformat sehr effektiv sein. Ein Experiment, das Dreston vorstellte, dokumentierte dies eindrücklich: Die Probanden erhielten Informationen über ein Thema über einen klassischen Newsletter, über Instagram-Stories ohne Mitmachelemente oder über Instagram mit aktiven sog. Elaborationsanreizen (Fragen beantworten, Vorwissen aktivieren, Nachdenken auslösen; auch die Nutzung der Kommentarspalte kann als Elaborationsaktivität angesehen werden).

  • Ohne Elaborationsanreize schnitten Social-Media-Formate schlechter ab als der Newsletter.
  • Mit Elaborationsanreizen führten Social-Media-Formate dagegen zum besten Lernerfolg.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass mehr die Art der Aufnahme als die Form der Präsentation des Wissens über Lernerfolg entscheidet.

Ein zweiter messbarer Faktor ist, ob Menschen Inhalte gezielt suchen (intentional) oder ihnen zufällig begegnen (inzidentell). Arten der inzidentellen Informationsaufnahme sind uns aus dem Alltag bekannt, z. B. Infoscreens in der U-Bahn. Interessant war eine in diesem Rahmen vorgestellte Studie, der zufolge inzidenteller Kontakt Wissensunterschiede verringern kann. Das Allgemeinwissen von Menschen mit wenig Vorwissen nähert sich bei zufällig konsumierten Inhalten demnach dem Kenntnisstand von Personen an, die von vornherein über eine hohe Allgemeinbildung verfügen.
Im Falle des Lernens durch soziale Medien begeben wir uns auf dem Spektrum zwischen zufälliger und bewusst gesteuerter Informationsaufnahme in einen Zwischenbereich. Zwar werden algorithmische Anpassungen der Inhalte an User-Interessen automatisch vorgenommen. Aber viele Nutzer:innen beeinflussen Feeds und Vorschlagslisten bewusst dadurch, dass sie bestimmte Inhalte blockieren oder interessante liken. Sie „trainieren“ oder „pflegen“ ihren Algorithmus.

Fazit

Insgesamt erzwangen Drestons Ausführungen eine differenzierte Sichtweise des (Mikro-)Learnings mit sozialen Medien. Die Portionierung und Digitalisierung von Lerninhalten führt zwar nicht zu Misserfolg im Lernen, aber andererseits können wir sperrige Stoffe nicht allein dadurch an die Lernenden bringen, dass wir eine Insta-Story draus machen. Die User sind derweil weder nur gestaltend, noch werden sie vom Content ungefragt überwältigt. Die Wahrheit liegt wie so oft dazwischen.

Was heißt das nun für Bibliotheken?

Drestons zentrale Aussage, dass ein selbsttätig elaborierter, aktiv aufgesuchter und als bedeutsam erkannter Inhalt zu maximalem Lernerfolg führt, macht meiner Meinung nach Hoffnung für die Bibliotheken. Alle drei Bedingungen sind in Bibliotheken schon dann erfüllt, wenn Nutzer:innen mit einer konkreten Frage aktiv zu uns kommen: Sie haben eine klare Absicht und wenden die Kenntnisse über den Bestand in der Lernumgebung an. Unsere Aufgabe ist es also vor allem, diese guten Voraussetzungen durch passende Formate abzuholen – auch im Microlearning-Bereich. (c) Malte Dreyer

Bilder Worlcafé 1: Microlearning, (c) Malte Dreyer

World Café: Neue Themen und Formate im IK-Bereich

Zum Abschluss des Roundtables fand ein World Café statt, bei dem Themen aus dem Plenum in Kleingruppen bearbeitet wurden. Eine von mir moderierte Gruppe beschäftigte sich mit neuen Themen und Formaten in der Informationskompetenz.

  • Neue Themenfelder: KI als Querschnittsthema
    Schnell wurde deutlich, dass Künstliche Intelligenz derzeit das zentrale Oberthema ist. Die Gruppe war sich einig, dass KI nicht nur ein zusätzliches Thema darstellt, sondern in alle bestehenden IK-Formate integriert werden sollte. Der Anpassungsbedarf ist entsprechend groß. Generell gilt dabei: Die mit dem Einzug von KI verbundenen ethischen, fachlichen und politischen Implikationen müssen auch und insbesondere in Bibliotheken systematisch erschlossen werden. Ohne ein derartiges Begleitprogramm geraten Aktivitäten an der Basis in Gefahr, ihre Richtung zu verlieren.
    Ein zweiter allgemeiner Punkt betraf die zielgruppenspezifische Anpassung. Unterschiedliche Zielgruppen bringen unterschiedliche Voraussetzungen mit, was die Konzeption von Formaten anspruchsvoll macht. Zugleich bietet das aber Potenziale: Manche Kurse, die bisher für bestimmte Niveaus konzipiert wurden, könnten so umgestaltet werden, dass sie auch für andere Anspruchsniveaus funktionieren. Das schafft Synergien im eigenen Haus.
  • Formate – Altbekanntes reaktivieren und Neues denken
    In der Diskussion tauchten einige Formate wieder auf, die vielerorts etwas in Vergessenheit geraten sind, aber anderswo weiterhin sehr gut funktionieren: Kandidaten für aussichtsreiche Wiederbelebungsversuche. Dazu gehören Poster und E-Learning-Kurse. Ein bemerkenswerter Aufruf aus einer Nachbargruppe ließ indes aufhorchen: „Lasst uns endlich wieder richtig geile Newsletter machen!!!“ Das kann man einfach mal so stehen lassen.
    Ein weiterer Schwerpunkt war die Frage, wie sich die Schnittstelle zwischen Pausen- und Arbeitszeit besser bespielen lässt. Viele Einrichtungen haben ihre Coffee Lectures und Brown-Bag-Lunches reduziert oder abgeschafft. Hier wurde über mögliche Alternativen nachgedacht. Eine Kollegin platzierte so bedeutungsvoll wie offen eine Karte mit dem Wort „Gamification“ im entsprechenden Bereich des Whiteboards.
    Bei der Frage, welche innovativen Inhalte umgesetzt werden könnten, wurden Beispiele aus der Praxis genannt, darunter: Kurse zum Erstellen eines Podcasts, Veranstaltungen zu Open Science, zur Quellenkritik oder Formate zur Guten wissenschaftlichen Praxis.
    Für unsere eigene Einrichtung ergeben sich daraus wertvolle Hinweise – insbesondere als Ergänzung zu bestehenden Angeboten wie den Literaturrecherche-Kursen, die ohnehin im Zuge der KI-Entwicklungen aktualisiert werden müssen.
Bilder Worldcafè 2: Ausgewählte IK-Themen, 1-3 (c) Malte Dreyer, 4-5 (c) Sabine Rauchmann

Fazit

Insgesamt beeindruckte das World Café – wie der gesamte Roundtable – durch das sehr agile Umfeld und bot inspirierende Impulse für die Weiterentwicklung der Informationskompetenzvermittlung. Viele Ideen waren direkt auf die eigene Praxis übertragbar und boten konkrete Ansatzpunkte, um bestehende Formate weiterzuentwickeln oder neue Schwerpunkte zu setzen. Ideen, die wir in den kommenden Monaten und Jahren gut gebrauchen können.

Autor: Dr. Malte Dreyer, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
Redaktionelle Bearbeitung: Sabine Rauchmann, Gemeinsame Kommission Informationskompetenz von dbv und VDB

Erklärung zur Nutzung von ChatGPT und vergleichbaren Werkzeugen: In dem hier vorliegenden Text habe ich ChatGPT oder eine andere KI wie folgt genutzt:
[ ] gar nicht
[ ] bei der Ideenfindung
[ ] bei der Erstellung der Gliederung
[ ] zum Erstellen einzelner Passagen, insgesamt im Umfang von …% am gesamten Text
[ ] zur Entwicklung von Software-Quelltexten
[ ] zur Optimierung oder Umstrukturierung von Software-Quelltexten
[x] zum Korrekturlesen
[x] Weiteres, nämlich: zum Ausformulieren einzelner Passagen nach einer Vorlage aus Stichpunkten und Notizen. Der daraufhin entstandene Text wurde vollständig überarbeitet und restrukturiert.

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